Der Pfarrverband Hengersberg lud zusammen mit dem Reservistenverein Schwanenkirchen, in Kooperation mit der KEB, zu einem Vortrag des ehemaligen Archivars der Diözese Passau, Dr. Herbert Wurster, ein. Der Pfarrsaal in Schwanenkirchen war mit mehr als 70 Personen gut gefüllt.
Vorneweg ging der Referent auf die allgemeine Lage kurz vor Ende des zweiten Weltkriegs ein. Er betonte, dass die ‚Attentäter‘ um Graf Stauffenberg versuchten, den schon verlorenen Krieg zu beenden, um das unendliche, sinnlose Blutvergießen zu stoppen. Nach ihrem Scheitern herrschte Chaos bis zum Ende. Ca. 40 Prozent aller deutschen Soldaten sind erst nach dem 20. Juli 1944 gefallen – der Mut der Männer um Stauffenberg wollte auch dies verhindern!In unserer Heimat waren glücklicherweise fast 140 Jahre keine Kampfhandlungen. Die jeweiligen Kriege tobten weit weg, obwohl auch unsere Region viele gefallene Soldaten beweinen musste. Erst in den letzten Tagen des zweiten Weltkrieges, im April 1945, erreichte er auch unsere Gegend. Das Bistum Passau hatte nach dem Ende des Krieges seine Pfarrer aufgefordert, als Zeitzeugen einen Bericht über das lokale Geschehen im Dritten Reich sowie beim Kriegsende abzufassen. Fast alle Berichte sind erhalten und werden im Archiv der Diözese Passau verwahrt. Auf diesen beruhte der weitere Vortrag des Referenten. Am 24. April 1945 stießen die amerikanischen Truppen im Bayerischen Wald auf das Gebiet der Diözese Passau vor. Wo sich Verteidigung zeigte, griffen die Amerikaner mit Macht an… die entscheidenden Schäden in vielen Orten jedoch waren nicht von den Kämpfen verursacht worden, sondern vielmehr die Folge des sog. Nero-Befehls von Hitler, der die Zerstörung aller wichtigen Einrichtungen befahl. Infolgedessen wurden viele Brücken gesprengt, oft unter Zerstörung der Häuser der Umgebung. Dr. Wurster betonte, wie grausam und menschenverachtend das NS-System in der letzten Phase des ‚totalen Krieges‘ handelte – ohne Rücksicht auf Soldaten, aber v. a. auch auf die Zivilbevölkerung. Am 3. Juni 1945 verfasste der damalige Schwanenkirchener Pfarrer Sebastian Aigner einen lebendigen und detailreichen Bericht. Aus diesem zitierte Dr. Wurster:,Ortschaft u. Pfarrei Schwanenkirchen sind glücklich ohne Schaden aus den letzten Kriegsereignissen hervorgegangen. Wir haben wirklich allen Grund, dem Herrgott dankbar zu sein, denn unser Ort war in so ganz besonders großer Gefahr. Weiter führt Pfarrer Aigner dann aus, wie knapp der Ort einer Katastrophe entging. Am Abend des 24. April, als die Amerikaner schon in greifbarer Nähe waren, brachten zwei dazu bestellte Bauern mit ihren Bulldogs Sprengladungen weg, die vorher im Pfarrhof standen. ‚Am Mittwoch (25. April) früh … kam ein Tiefflieger, … hätte er noch Wagen im Hofe stehen sehen, würde er ohne Zweifel geschossen haben u. würde Schwanenkirchen vollständig erledigt sein. Zur Übergabe des Dorfes teilt Pfarrer Aigner mit: Für Samstag, 28. April war die Räumung des Dorfes vorgesehen. , Die SS … hatte gedroht, im Falle einer Übergabe Hengersberg u. Schwanenkirchen zu beschießen. Es war eine düstere schwere Stimmung u. alles rüstete für den Abzug.‘ Nachdem jedoch Hengersberg ‚glücklich übergeben‘ war, ‚kamen dann die Panzerwagen u. die Übergabe vollzog sich schnell u. ohne Hindernisse. Alles atmete auf. Weiter berichtet der Pfarrer noch vom Tod der zehnjährigen Gertraud Adler, deren Mutter sich mit weiteren Familienangehörigen in ein Wäldchen bei Mimming geflüchtet hatte. Hauptlehrer Adler war der Ortsgruppenleiter von Hengersberg. Offenbar weil sie sich versteckende SS-Männer vermuteten, gaben die Panzerfahrer Schüsse ab und töteten dabei das Mädchen. Ein weiteres tragisches Schicksal ist das der einheimischen, ehemaligen Lehrerin Amalie Nothhaft. Die hiesigen Funktionäre waren schlecht auf sie zu sprechen, weil sie sich für die Landbevölkerung einsetzte und diese wort- und schriftgewandt im Umgang mit Behörden und Dienststellen der Partei unterstützte. Außerdem lehnte Nothhaft den Nationalsozialismus ab. Ende November wurde sie wegen ‚Rundfunkverbrechens‘ in Deggendorf inhaftiert. In den letzten Kriegstagen entließ der zuständige Oberstaatsanwalt eine Reihe politischer Gefangener und weigerte sich mutig, Wachpersonal für die angeordnete Erschießung von Frau Nothhaft abzustellen. Die Gefangene wurde darauf zur Kreisleitung gebracht und eingesperrt. Als sich die NSDAP aus Deggendorf absetzte, ‚wurde die 60-jährige Lehrerin unter nicht genau geklärten Umständen auf der (Donau-)Brücke erschossen und ihre Leiche ins Wasser geworfen. Soweit der Bericht des Pfarrers Sebastian Aigner in Auszügen. Im November 1944 wurde dieser übrigens, laut Dr. Wurster, wegen eines Vergehens gegen das Heimtückegesetz mit einer Geldbuße bestraft. Er scheint kein Freund der Nazis gewesen zu sein. Der Bericht der Pfarrei Frohnstetten dagegen ist lapidar. ‚In der Nacht vom 27. auf 28. April lag das Pfarrdorf Unterfrohnstetten unter Artilleriestreufeuer. Alle Granaten schlugen aber glücklicherweise im Freien ein, sodaß, abgesehen von einigen zertrümmerten Fensterscheiben im Pfarrhof und in der Sakristei, kein Schaden an kirchlichen oder sonstigen Gebäuden entstand. Sonstige Kampfhandlungen fanden nicht statt. Auch der Bericht des Pfarrers der Pfarrei Schwarzach-Hengersberg (Pfarrkirche war damals in Schwarzach, nicht auf dem Rohrberg) geht nochmal auf den tragischen Tod des kleinen Mädchens Gertraud Adler ein. Außerdem vermeldet er, dass durch die Sprengung der Ohebrücke in Schwarzach durch die Nazis ‚großer Schaden am Pfarrhofe, in den Ökonomiegebäuden u. der Pfarrkirche‘ entstanden sei. Auch mehrere umliegenden Privathäuser und Ställe, sogar einige Fenster der Rohrberkirche erlitten bedeutende Schäden. Der Geistliche berichtet weiter, dass der Kindergarten sowie die Mädchenschule wieder den Klosterfrauen des Ordens der Englischen Fräulein übertragen wurde. Auch die anderen bekannten Zeitzeugen erzählen davon, dass Hengersberg soweit verschont wurde. Allerdings wurden nach Kriegsende der Bürgermeister, der Ortsgruppenleiter und der Volkssturmführer unter nicht geklärten Umständen getötet.
Auf den Mut des Bürgers Alfons Beer ging der Referent noch besonders ein. Dieser hisste in Hengersberg die weiße Fahne auf dem Turm der Frauenbergkirche. Er wurde von SS-Leuten verhaftet und in Thundorf von einem Sondergericht zum Tode durch Erschießen verurteilt. Der Aufforderung, sich das Grab selbst zu schaufeln, kam er nicht nach. Er verlangte, vor der Erschießung dem Kommandanten vorgeführt zu werden. Offenbar wurde er daraufhin der Gendarmerie zur weiteren Behandlung übergeben und überlebte. Nachdem der Referent noch kurz auf weitere Geschehnisse in der Region einging, u. a. auf den berüchtigten, erschütternden Nammeringer KZ-Transport, fasste er zusammen: Ihre geschützte Lage bewahrte unsere Region weitgehend vor Kampfhandlungen. Dagegen blieb unsere Region leider nicht vor sinnlosen Zerstörungs- und Racheaktionen des NS-Regimes verschont. Heute schaut die Enkelgeneration größtenteils objektiv auf unsere Vergangenheit. Dennoch leidet jeder darunter, dessen Familiengeschichte dunkle Flecken aufweist. Dr. Wurster konstatiert als Kirchenhistoriker gern, dass die katholische Kirche gegen das NS-Regime Widerstand geleistet hat. Die Quellen beweisen, dass die Kirche durch ihr caritatives Wirken, als Staat und Kommunen weitgehend ausfielen, vielen das Überleben gesichert hat. Die Kirche habe ihre Sorge für das Leben der Menschen durch ihre Taten eindrücklichst bewiesen. Sie bezog für die Schwachen Position, selbst für umkehrwillige Nazis, was ihr später angekreidet wurde. Das Wichtigste sei aber die Sorge für die Flüchtlinge ab 1945 gewesen, denen ein neuer Anfang ermöglicht wurde. Für den informativen und auch bewegenden Vortrag bedankte sich der Bildungsbeauftragte der Pfarrei Schwanenkirchen, Fritz Schosser, mit einem Geschenk bei Dr. Wurster. Einige Zuhörer meldeten sich mit Fragen und Zeitzeugenberichten von Familienangehörigen zu Wort.
Text und Fotos Christine Kremheller, Bildungsbeauftragte der Pfarrei Hengersberg
Bericht in der Deggendorfer Zeitung vom 22.11.2024 von Josef Drasch.
Der Katastrophe knapp entgangenVortrag über das Ende des Zweiten Weltkriegs aus Sicht der damaligen Pfarrer
Schwanenkirchen. Das Ende des Zweiten Weltkriegs in der Region hat der ehemaligen Archivar der Diözese Passau, Dr. Herbert Wurster, anhand von Berichten aus den Pfarreien bei einem sehr gut besuchten Vortrag im Pfarrsaal von Schwanenkirchen rekonstruiert.
Um zu erfahren, was bei Kriegsende 1945 in den einzelnen Pfarreien geschah und wie sich die Situation in den folgenden Monaten in den Pfarreien entwickelte, wurden die Seelsorger zweimal – im Mai und im Juli 1945 – vom Bischöflichen Ordinariat aufgefordert, Berichte zu vorgegebenen Fragen zu verfassen. All diese Zeugnisse befinden sich im Diözesanarchiv Passau.
Nach 140-jährigem Frieden seit 1809, unsere Region war in der Zwischenzeit von Kriegen nicht betroffen, gab es erst ab 1944 wieder Kriegsereignisse hier. Erst heute aber erwache wieder das Interesse über diese Zeit, den Ereignissen und von den massenhaft gefallenen Soldaten.
Graf Stauffenberg wollte mit dem Attentat auf Hitler den verlorenen Krieg beenden, leider erfolglos. Im März/April 1945 wurden auch in der Heimat die deutschen Streitkräfte zurückgedrängt und aufgerieben, die US-Streitkräfte waren militärisch haushoch überlegen. In den letzten Kriegstagen gab es auch hier erhebliche Schäden. Am 4. April stießen US-Truppen von Norden kommend nach Ostbayern vor, am 25. April wurde Grafenau besetzt, am 26. April Tittling. Am 29. April stießen sie auf Passau vor, das dann am 2. Mai übergeben wurde.
Schwanenkirchen ist glücklicherweise ohne Schaden davongekommen, so berichtete am 3. Juni Pfarrer Sebastian Aigner aus Schwanenkirchen nach Passau. Am 20. April haben sich US-Offiziere im Pfarrhof einquartiert. Am 25. April verbrannten sie die Akten der Nationalsozialisten, am Samstag, dem 28. April, sollte das Dorf geräumt werden. Der Räumungsbefehl kam aber nicht, vorher wurde Hengersberg übergeben. Gegen 15 Uhr kamen die amerikanischen Panzer. In Mimming wurde ein zehnjähriges Mädchen erschossen, dessen Familie flüchten wollte. Auch in Schwanenkirchen wurde die weiße Flagge zur Aufgabe gehisst, es gab keine kriegerische Auseinandersetzung.
Die NS-Funktionäre brachten noch am 25. April die Hauptlehrerin Frl. Amalie Nothhaft ins Gefängnis, weil sie sich für die Landbevölkerung eingesetzt und sich kritisch gegen die Nazis geäußert hatte. Am 28. April wurde sie nach Deggendorf zur Donaubrücke gebracht, von NS-Offizieren erschossen und in die Donau geworfen. Ihre Leiche wurde nie gefunden.
Am 13. Mai fand in der Pfarrei Schwanenkirchen die Gotthardprozession nach Reichersdorf statt. Viele Gläubige beteiligten sich aus Dankbarkeit über die Geschehnisse der letzten Wochen an dieser Prozession.
Aus Frohnstetten wurden am 27. April über einige Artillerieschüsse berichtet, es gab aber keine Schäden an Gebäuden. Aus Schwarzach wurde von der Sprengung der kleinen Ohebrücke berichtet. Der Pfarrhof, die Kirche und mehrere Privathäuser wurden teilweise zerstört. Hengersberg blieb weitgehend verschont,
Alfons Beer hat in einer riskanten Aktion die weiße Flagge gehisst. Die Eisenbahnstrecke Deggendorf–Eging trug glücklicherweise nur wenig Schaden davon.
Die katholische Kirche stellte sich häufig gegen das NS-Regime, viele Priester wurden attackiert und teilweise umgebracht. Die Kirche stand zum Volk, später auch zu den zunehmend vielen ankommenden Flüchtlingen, so Wurster. Nach dem Krieg mussten in jedem Haus Flüchtlinge untergebracht werden.
Eine rege Diskussion über noch Erlebtes oder Erzähltes schloss sich dem Vortrag an.
Text: Josef Drasch
Hier der Vortrag von Herrn Dr. Wurster
Das Ende des2. Weltkriegs in der Region um die Pfarrei Schwanenkirchen Schwanenk.irchen,14.11.2024
Dr. Herbert W. Wurster
- Einleitung
Bevor der Krieg im April 1945 in unsere Region kam, waren in der Heimat fast 140 Jahre Frieden – der letzte Krieg, bei dem unsere Region zum direkten Kriegsschauplatz wurde, war der 5. Koalitionskrieg zwischen Österreich und dem napoleonischen Frankreich im Jahre 1809. Natürlich führten Bayern und Deutschland nach J 809 einige Kriege, und zwar den
Rußlandfeldzug 1812/13, den Deutschen Krieg 1866 gegen Preußen, den Deutsch Französischen Krieg 1870/71, den I. Weltkrieg 1914-1918 und den II. Weltkrieg, der 1939 durch Adolf Hitler vom Zaun gebrochen wurde.
In diesen Kriegen mußte unsere Region viele Gefallene beweinen, doch der Krieg tobte weit weg. Die Soldaten kannten den Krieg, doch unsere Zivilbevölkerung wurde fast 140 Jahre lang nicht direkt von Kampfhandlungen getroffen, unsere Region wurde nicht zerstört. Erst im
Jahre 1944 erreichten die Bomber und die Tiefflieger unsere Gegend, v. a. im Jahr 1945 verwüsteten die Luftangriffe sie.
Das sind ganz andere Erfahrungen als die von den Deutschen, die an der Westgrenze oder in Industriezentren lebten. Doch das Schweigen über das Dritte Reich und dem Zweiten Weltkrieg breitete sich überall aus, als das Tausendjährige Reich besiegt war – seine dunklen Visionen, seine gefährliche Politik und sein grausames Handeln wollte die allgemeine Öffent-lichkeit eigentlich vergessen, trotz Kriegsverbrecherprozesse, trotz Reeducation, trotz Entnazifizierung. Damit gehen die Erinnerungen unter, die Zeitzeugen werden selten gehört. Jetzt, in der Enkelgeneration der da mals Lebenden, erwacht wieder das Interesse an der damaligen Geschichte, das vergangene Leiden und Unrecht. Das Bistum Passau – wie andere Diözesen – hatte unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs seine Pfarrer aufgefordert, als Zeitzeugen einen Bericht über das lokale Geschehen im Dritten Reichs sowie beim Ende des Kriegs abzufassen. Damit wollte der Passauer Bischof Simon Konrad Landersdorfer die Situation in seiner Diözese kennen. Fast alle Berichte ist erhalten und werden verwahrt im Archiv des Bistums Passau. Eine sehr fleißige und talentierte junge Forscherin hat sie untersucht und da nach im Jahre 2017 eine gelungene Edition im Internet vorgelegt. Diese Berichte sind oft detailreich, spannend und zeigen die Pfarrer häufig als Mittelpunkt der lokalen Bewegung zur Ablösung des NS-Regimes und zum Übergang zum Frieden. Diese Berichte stellen das Fundament dieses Vortrags dar. Der 20. Juli I944
Zunächst will ich allgemein auf die gefallenen und vermißten Soldaten hinweisen, um die deutschenfeindliche Politik des NS-Systems zu zeigen. Bei vielen Kriegerdenkmälern, die ich jahrzehntelang genau betrachtet habe, kommt man zu der Erkenntnis, daß nach dem 20. Julj 1944 etwa 40 Prozent aller deutschen Soldaten gefallen sind – der Mut der Attentäter wollte auch das verhindern! So erinnern uns die Kriegerdenkmäler an die Seite des grausamen NS-Systems. Sie zeigen uns, daß die Führung des Nazi-Reichs unter dem „Führer“ Adolf Hitler in den Schlußmonaten ihres ,,Totalen Kriegs“ erbarmungslos die Soldaten auf die Schlachtbank schick ten – ohne ausreichende Ausrüstung: Flugzeuge, Flugabwehr, Panzer, Artillerie, Munition, Treibstoff, usw. Sie konnten nicht mehr kämpfen. Erstaunlich ist es, daß die gängigen Internet-Foren darauf nicht hinweisen. Daher ist historische Bildungsarbeit sehr nötig, um die „Attentäter“ zu verstehen; sie suchten die letzte Chance für Deutschland und die NS-Opfer. Nach ihren Scheitern kam das Chaos bis zum Ende. Die wenigen mutigen Männer um den Oberstleutnant Claus Philipp Schenk Graf von Stauffenberg von 20. Juli 1944 wollten mit dem Attentat den schon verlorenen Krieg beendeten, um Frieden zu schaffen und das unendliche, sinnlose Blutvergießen stoppen. Sie gingen das Risiko ein, um das mörderische NS-System zu zerstören und Deutschland und die noch lebenden NS-Opfer zu retten. Nach dem gescheiterten Attentat wurden mehr als 200 „Verschwörer“ von der NS-Justiz ermordet. Das NS-System setzte seinen verderblichen Kurs radikalisiert fort – die Parole war der „Endsieg“ im „totalen Krieg“. Die Rechnung dafür zahlten die deutschen Soldaten, Zivilisten, die Städte, die Zwangsarbeiter, die v. a. russischen Kriegsgefangenen, die KZ-Insassen und die Juden. So viele Opfer wären erspart worden! Man denke auch an die (nach dem 20. Juli 1944 stattfindenden) Luftangriffe auf Dresden, Würzburg, Deggendorf, Plattling und Passau, an die Todesmärsche …Die militärische Lage im März/April 1945
Nach diesem moralischen Punkt will ich nun die militärische Lage im
März/April 1945 vorstellen. ,,Unerbittlich wurden 1945 die deutschen
Streitkräfte zurückgedrängt und aufgerieben. Daran änderten die wüstesten Durchhalteparolen nichts, ebensowenig die unermüdlich beschworenen Vergeltungswaffen und auch nicht der Terror der SS. Die Wehrmacht sah es in den letzten Monaten als wesentlich an. durch ihren Kampf die Flucht der deutschen Bevölkerung aus den Ostgebieten zu ermöglichen. Der Vorstoß der Roten Armee und die drohende Besetzung durch die Sowjets riefen nämlich größte Ängste hervor und lösten enorme Bevölkerungsverschiebungen nach Westen aus. Militärisch war das nationalsozialistische Regime verloren, auch wenn es dies in seinem Wahnsinn nicht eingestehen wollte. Die operative Planung der amerikanischen Truppen beabsichtigte einen Stoß nach Osten, vom Rhein durch den bayerisch-sächsisch-thüringischen Raum an die Elbe, um dort die Verbindung mit den Sowjets herzustellen.
General Dwight D. Eisenhower jedoch änderte in den letzten Tagen
des März bzw. in den ersten Tagen des April 1945 seinen Schwerpunkt: Es ging ihm nicht mehr zuerst um einen weiten Vorstoß nach Osten, um Berlin, sondern er wollte nun zunächst verhindern, daß größere deutsche Verbände in die „Alpenfestung“ entkommen konnten. Die „Alpenfestung“ war der letzte Propaganda-Posten des Regimes, sie wurde von den Alliierten jedoch
zurecht als Rückzugs-Bollwerk mit ziemlich gefährlichem Potential
eingeschätzt. Gelang es der deutschen Führung, größere
Truppenkontingente dorthin zu flüchten, dann drohte ein langwieriger Gebirgskrieg, in dem die alliierten Streitkräfte ihre Trümpfe, nämlich Panzer, Artillerie und Luftwaffe, nur bedingt zur Geltung hätten bringen können.
Daher war es das operative Ziel der amerikanischen Truppen, die in
Böhmen und weiter ostwärts stehenden Verbände der Wehrmacht und der SS mit ihrer teils noch recht hohen Kampfkraft am Rückzug in die Alpen zu hindern. Dazu sollte nach dem raschen Vorstoß der 3. US-Armee an die Elbe der so entstandene südliche deutsche Verteidigungsraum in eine westliche und eine östliche Hälfte aufgeteilt werden. Die Angriffsachse der südlich an die 3. US-Armee anschließenden 7. US-Armee wurde daher entsprechend den Bewegungen der 3. US-Armee ebenfalls aus der West
Ost-Achse nach Süden abgedreht und zielte über Stuttgart-Würzburg auf die mittlere Donaulinie bei Ulm-Ingolstadt. Der Vorstoß der 3. US-Armee auf die Elbe war nördlich von Bayern angelegt; im Verlauf der Operation erhielt sie aus dem sächsisch-thüringischen Raum heraus den Auftrag, nach Süden einzudrehen und in Richtung auf die Alpen vorzustoßen. Ihre Angriffsachse lief über Bayreuth und Nürnberg, um die Donau bei Regensburg zu gewinnen. Dem Vormarsch der Amerikaner hatte die Wehrmacht praktisch nichts mehr entgegenzusetzen: Die amerikanische Luftwaffe hatte die Lufthoheit; amerikanische Bomber wie Jäger waren für kleinste militärische Aufträge verfügbar und störten jederzeit und überall. Vor allem die Tieflieger
verunsicherten die Bevölkerung, selbst Kinder auf dem Schulweg waren vor Beschuß nicht sicher. Das amerikanische Heer war der Wehrmacht materiell und personell haushoch überlegen. Panzer und Artillerie zerschlugen die deutsche Verteidigung, die im wesentlichen nur mehr von infanteristischen Kräften getragen wurde, gelegentlich verstärkt durch wenig Artillerie. Gerade in den letzten Kriegstagen zögerten die Amerikaner nicht, Luftwaffe, Artillerie und Panzer massiv einzusetzen, um auch nur die geringsten Spuren deutschen Widerstands auszulöschen. Das Leben der eigenen Soldaten sollte gerade jetzt so wenig wie möglich gefährdet werden. Deswegen sind selbst in den letzten Kriegstagen beim Vormarsch in Ostbayern noch eine Reihe von Ortschaften schwer beschädigt oder verwüstet worden; durch den Einsatz von Panzer und
Artillerie vermieden die amerikanischen Truppen den ausgesprochen
verlustreichen infanteristischen Häuserkampf.
Am 24.04.1945 stießen die amerikanischen Truppen im Bayerischen Wald auf das Gebiet der Diözese Passau vor. Nach mehrstündigem schwerem Kampf wurde Regen genommen. Am nächsten Tag stießen die US Truppen weiter vor auf der Ostmarkstraße. Über Rinchnach, Kirchdorf i. W., Eppenschlag, Schönberg, Haus i. W., Perlesreut drangen sie bis nördlich von Röhmbach-Fürsteneck vor. Neben schwachen örtlichen Kräften des Volkssturms, der HJ und gelegentlicher Wehrmacht war vorallem die SS eingesetzt, hauptsächlich die am 24.04. von St. Pölten hierher
angesetzte 2. SS-Panzerdivision „Das Reich“. Dort wo sich Verteidigung zeigte, griffen die Amerikaner mit Macht an….
Aus der Hauptangriffsachse heraus wurden auch Orte nordostwärts der Ostmarkstraße genommen, so etwa Klingenbrunn, St. Oswald und Grafenau oder auch Kreuzberg. An diesen Orten waren die kriegerischen Geschehnisse meist nicht so zerstörerisch. Dafür kann Grafenau als Beispiel dienen: „Am 25. April 1945 wurde Grafenau und die ganze Pfarrei durch die amerikanischen Truppen besetzt. Noch kurz vorher zog die SS von hier ab. Die Stadt und die ganze Pfarrei blieb unbeschädigt“19
(ABP, OA, Deka Schönberg II, 12 ll, Grafenau, 01.10.1945).
Ab dem 26.04. griffen die im Bayerischen Wald eingesetzten
amerikanischen Truppen auf der Linie Tittling, Fürsteneck, Röhrnbach,
Denkhof, Waldkirchen gegen die zäh verteidigende SS an; von Tittling aus begann der Beschuß Passaus mit schwerer Artillerie. Als am 29.04. Passaucr Volkssturmeinheiten, vorwiegend HJ, die im Tittlinger Raum in der Verteidigung eingesetzte 2. SS-Panzerdivision ablösten, wurden sie sofort zurückgeschlagen und gingen nach Passau zurück. So konnten die amerikanischen Truppen auf Passau vorstoßen. [Dieses Geschehen, das die NS-Propaganda als ,,Schlacht bei Tittling“ titulierte, wird auch vom Bischof Simon Konrad in seinen
Lebenserinnerungen gedacht und eingeordnet: ,,Unterdessen war der Krieg bis nahe an Passau herangerückt. Die Amerikaner standen bei Tittling. Die „Schlacht bei Tittling“ war der letzte Sieg des „größten Feldherren der Geschichte“, den Göbbels der Welt berichtete. In Wirklichkeit war es ein kleines Gefecht, aus welchem sich die Amerikaner zurückzogen, wie sie es immer machten, wenn sie einen Weg sahen, der mit geringeren Verlusten
zum gleichen Ziel führte. Schon am nächsten Tag hatten sie sich von dieser „entscheidenden Niederlage“ erholt und setzten den Vormarsch auf Passau fort.“]
Die Verteidigung um Röhrnbach und die übrigen genannten Orte war von den Amerikanern schon am 26.04. im Osten umgangen worden; bereits an diesem Tag wurden etwa Wollaberg, Neureichenau und Breitenberg genommen. Die Amerikaner blieben allerdings hier stehen, um den Zusammenhang mit den um Röhrnbach kämpfenden eigenen Truppen nicht zu zerreißen. Erst am 28.04. nahmen sie dann Sonnen und ab 30.04. stießen sie auf die Donau und die deutsch-österreichische Grenze vor. Am und 02.05. wurden die letzten Orte nördlich der Donau besetzt, den
Schlußpunkt bildete anscheinend die Besetzung Obernzells.
Ein weiterer Stoß der amerikanischen Truppen nördlich der Donau war ab 27.04. möglich geworden; an diesem Tag hatte nämlich die 26. US Infanterie-Division Deggendorf genommen. Ab 28.04. drangen die amerikanischen Kräfte an der Donau entlang vor und nahmen in den folgenden Tagen die Orte am Strom und in den Vorbergen [- das ist Ihre Geschichte]. Am 01.05. standen auch diese US-Kräfte vor Passau, nämlich in Schalding links der Donau.
Zentrum der deutschen Verteidigung war Passau, dessen Schutz dienten auch schon die Kämpfe um Röhrnbach und den anderen umliegenden Orten. Über Passau lief noch die Verbindung mit den starken deutschen Kräften in Böhmen, dieser Zusammenhang sollte unbedingt gehalten werden. Aber – am 02.05. zog die SS ab und Passau wurde an die Amerikaner übergeben.
Die entscheidenden Schäden in Passau wie auch in vielen Orten des
Bayerischen Waldes waren nicht von den Kämpfen verursacht worden, sie waren vielmehr die Folge des sog. Nero-Befehls von Hitler, der die Zerstörung aller wichtigen Einrichtungen befahl. In Folge dessen wurden viele Brücken gesprengt, oft unter Zerstörung der Häuser der Umgebung.
Damit kann ich meien Bericht zur allgemeinen militärischen Lage
abschließen und kommen wir nun konkret auf die Region um
Schwanenkirchen. Der Bericht der Pfarrei Schwanenkirchen über das Kriegsende.
Am 03.06.1945 verfaßte der Schwanenkirchener Pfarrer Sebastian Aigner, der hier von 1939 bis 1956 wirkte, auftragsgemäß den Bericht über den Verlauf des letzten Kriegsgeschehens in seiner Pfarrei. Darin beschreibt er das Geschehen lebendig und detailreich. Darum folgt sein Text:
„Um es gleich vorwegzunehmen: Ortschaft u. Pfarrei Schwanenkirchen sind glücklich ohne Schaden aus den letzten Kriegsereignissen hervorgegangen. Wir haben wirklich allen Grund, dem Herrgott dankbar zu sein, denn unser Ort war in so ganz besonders großer Gefahr.
Fürs l . war seit 7 Monaten hier eine technische Kompanie gelegen. Man mußte annehmen, daß sie gegebenenfalls zur Verteidigung des Ortes ein gesetzt würde. Tatsächlich lag auch der Befehl da. Herr Baurat Klinke, der Chef der Kompanie, hat sich aber nach Beratung mit einigen Männern der Abteilung die Nutzlosigkeit u. die Gefahr für den Ort Schwanenkirchen erkennend, am Tage, bevor der Amerikaner kam, mit seinen Leuten in südlicher Richtung abgesetzt. In Straßwalchen zwischen Braunau u. Salzburg
gerieten sie dann in amerikan. Gefangenschaft.
Fürs 2. wurden hier am 20. April 6 SS-Offiziere einquartiert, 2 davon, da runter ein Oberstleutnant, im Pfarrhofe. Unter dem Drucke dieser Offiziere mußte die techn. Kompanie noch eine Panzersperre im Dorfe aufbauen. Die SS hatte sehr viel Sprengstoffe dabei, welche großenteils im Pfarrhof untergebracht waren.
Am Dienstag, den 24. April, wie schon die Amerikaner in greifbare Nähe kamen, verbrannten die SS-Leute noch alle ihre Akten (von der Geheimen Staatspolizei in Nürnberg, wie aus einzelnen noch zurückgelassenen Aktenstücken hervorging). Am Nachmittag kam ein General der SS u. verlangte Absetzung ins Rottal. Es wurden 2 Bauern bestellt, welche 1nit ihren Bulldogs die Sprengladungen nach Martinskirchen bei Eggenfelden fahren mußten. Sie waren dabei selbst in größter Lebensgefahr gestanden. Die Fahrt war für Mittwoch, den 25.4. früh 7 Uhr vorgesehen. Aber auf das
Drängen der Bauern wurde die Fahrt bereits um 20 h abends getätigt, um den Fliegern nicht ausgesetzt zu sein. Die Offiziere fuhren dann in aller Frühe mit ihren Wagen nach. Und das war das große Glück gewesen, denn am Mittwoch früh ½ 7 h kam ein Tiefflieger, schoß zunächst die am
Bahnhof stehenden, glücklicherweise auch eben erst entleerten Benzinwagen an u. kreiste dann 2-mal herein in den Hofraum des Pfarrhofes. Hätte er noch Wagen im Hofe stehen sehen, würde er ohne Zweifel geschossen haben u. würde Schwanenkirchen vollständig erledigt sein. Am Samstag, den 28.4. war die Bevölkerung des Ortes Schwanenkirchen in Kenntnis gesetzt worden, daß sie sich bereit halten müsse, das Dorf zu räumen. Die SS, welche jenseits der Donau stand, hatte gedroht, im Falle einer Übergabe Hengersberg u. Schwanenkirchen zu beschießen. Es war eine düstere schwere Stimmung u. alles rüstete für den Abzug. Der Räumungsbefehl kam aber dann doch nicht. Gleich mittags hörte man schon,
daß Hengersberg, für das man ernstlich gebangt hatte, glücklich übergeben sei. Für Schwanenkirchen hatte sich der Bürgermeister, der immer ein fanatischer Anhänger des Nationalsozialismus gewesen war, zusammen mit Herrn Hauptlehrer Echinger bereitgehalten, die Übergabe des Ortes zu vollziehen. Die Volkssturmmänner standen schon bereit, die Panzerwehr,
welche schon einmal abgebrochen war, dann aber auf Befehl wieder er richtet worden war, aber nur mehr zum Schein, im gegebenen Moment wegzuräumen. Gegen 3 Uhr nachmittags kamen dann die Panzerwagen angerollt u. die Übergabe vollzog sich dann schnell u. ohne Hindernisse.
Alles atmet auf. – Ein sehr bedauerlicher Unfall hatte sich bei Mimming ereignet. Frau Hauptlehrer Adler von Hengersberg hatte sich mit ihren Kindern u. ihren Eltern in ein kleines Wäldchen bei Mimming geflüchtet. Die Panzer gaben Schüsse ab in dieses Wäldchen. Dabei wurde die 10- jährige Tochter Gertraud der Familie Adler durch einen Gehirnschuß getötet.
1 Aufgelöst das „NN·‘, auch für die folgenden Nennungen der Familic(nmitglieder).tet, die Mutter selbst wurde durch
einen Streifschuß am Kopfe verletzt. Das Kind, ein allerbravstes Kind, wurde, da die amerikanische Kommandantur die Erlaubnis für Überführung nach Hengersberg nicht erteilte, am Nachmittag des 2. Mai in Schwanenkirchen beerdigt.
Eine große Sensation dieser Tage war hier das zunächst spurlose Ver
schwinden der Frl. Hauptlehrerin Nothhaft aus dem Gefangnis in Deggendorf.
Sie war seit 23. November dort untergebracht wegen Schwarzhörens u. Verbreitens von Feindnachrichten.
Wie dann am Mittwoch, den 25. April beim Näherkommen der Amerikaner die Gefangenen im Gefängnis Deggendorf freigegeben wurden, wurde sie auf Veranlassung des Kreisleiters zurückbehalten und in das Parteihaus verbracht. Es fehlte dann jede Spur von ihr. Nachforschungen ergaben dann, daß sie am Freitag, den 27. April früh um ½ 5 Uhr mit einem Auto auf die Donaubrücke gebracht wurde u. dort von einem SS-Hauptmann durch 2 Schüsse erledigt u. dann in die Donau geworfen wurde. Unter dem Verdachte, auch auf die Beseitigung der Frl. Nothhaft hingewirkt zu haben,wurde dann der hiesige Bürgermeister u. Ortsgruppenleiter Drasch
verhaftet, desgleichen auch der Oberleutnant Lenz2, welcher vom Landrat im Hause der Nothhaft mit seiner Familie einquartiert ,worden war. Ein 3., der in letzter Zeit hier wohl als amtlich bestellter Spion gewirkt hat u. der die Sache Nothhaft in ganz besonderer Weise vorwärts getrieben hat, ist noch flüchtig.
Am Sonntag, den 13. Mai hat die Pfarrei Schwanenkirchen in einer großen Prozession zur Gotthard-Kapelle in Reichersdorf dem großen Pfarrheiligen den heißen Dank abgestattet für seine wirksame Fürbitte in schwersten Tagen.“
Ich will diesen Bericht ein bißchen kommentieren: Die 61. Technische
Kompanie (Hochbau) war offenbar aus der Front gezogen und in das
Reich verlegt worden; eigentlich folgten die Technischen Kompanien den kämpfenden Truppen. Warum diese Kompanie sieben Monate in Schwanenkirchen lag, ist eine Frage für die weitere Forschung. Vielleicht sollte sie den Braunkohlenbergbau dienen? Teile dieser Kompanie gerieten auch hier in Kriegsgefangenschaft‘. Die hier liegende SS hatte die Akten der Gestapo Nürnberg in ihrem Besitz und einige Stücke wurden bei ihrem
Abzug nicht verbrannt – interessant wäre es, ob sie noch heute erhalten sind.
‚HWW: Korrigiert aus Falschlesung „Lone“. 3 DEG GB! XVI. 239.
Bemerkenswert ist, daß der NS-Bürgermeister den Ort an die US-Armee übergab; er war die Autorität am Ort, bei vielen anderen Orten übernahm diese Aufgabe ein bzw. mehrere Bürger. Der Termin war der 28.04., einen Tag nach Deggendorf.
Tragisch ist das Schicksal der einheimische Lehrerin Amalie Nothhaft. Sie wurde 1933 im mittleren Alter in den Ruhestand verabschiedet und lebte in Schwanenkirchen. ,,Der Ortsgruppenleiter und Bürgermeister war eben so wie der Landrat schlecht auf sie zu sprechen, weil sie sich für die Land bevölkerung einsetzte und diese wort- und schriftgewandt im Umgang mit Behörden und Dienststellen der Partei unterstützte. Außerdem lehnte Not
haft den Nationalsozialismus ab. Ende November 1944 bot eine Anzeige wegen „Rundfunkverbrechens“ ihren Gegnern vor Ort Gelegenheit, sich ihrer zu entledigen. Anfang Januar erging vom Volksgerichtshof aus Haftbefehl gegen die Lehrerin, die in Deggendorf inhaftiert wurde. Als dort in den letzten Kriegstagen über das weitere Schicksal der politischen Gefangenen diskutiert wurde, brachte der Verbindungsoffizier des Kampfkom-
mandanten zum Volkssturm, Oberleutnant Werner Lenz, das Gespräch gezielt auf den Fall der Amalie Nothaft. Der Offizier, der an der Unteroffiziersschule tätig war, war mit seiner Familie im Haus der Lehrerin einquartiert und kannte ihren Fall. Dem Oberleutnant gelang es, vom Kampfkommandanten zum zuständigen Oberstaatsanwalt geschickt zu werden, um Erkundigungen über potenziell gefährliche politische Häftlinge einzuziehen. Der Jurist hatte jedoch bereits eine ganze Reihe davon nach Hause entlassen und erklärte im Übrigen, es sei kein zum Tode Verurteilter in Verwahrung. Lenz fragte daraufhin direkt nach Amalie Nothaft, die noch im Gefängnis einsaß. Als der Oberstaatsanwalt sich weigerte, Wachpersonal für eine Erschießung der Frau abzustellen, wandte sich Lenz an Kreisleiter Konrad Hain. […] Klar ist, dass die Lehrerin von zwei Volkssturmännern – dem Kreisstellenleiter und einem SA-Obersturmführer – aus
dem Gefängnis geholt und zur Kreisleitung gebracht wurde. Dort wurde sie zunächst in der Waschküche, später in ein Erdgeschosszimmer gesperrt. Folgt man dem Urteil, sollte sie auf Befehl des Kampfkommandanten hin erschossen werden. Angeblich wollte jedoch keiner der Beteiligten die Anordnung ausführen – nicht einmal Lenz, obwohl dieser, wie seine Kameraden es ausdrückten, bei Nothaft wohne und ,ein Interesse an deren Verschwinden‘ hatte. In der darauffolgenden Nacht setzten sich sowohl der Kampfko1nmandant mit seinem Stab als auch die NSDAP-Kreisleitung gruppenweise aus Deggendorf ab. Eine dieser Gruppen – vermutlich unter der Führung des Hauptmanns Hans-Otto Feick – wandte sich über die Donaubrücke nach Süden. Darunter befanden sich auch zwei Mitarbeiter der Kreisleitung und die Gefangene, nicht jedoch Lenz. Unter nicht genau geklärten Umständen wurde die 60-jährige Lehrerin auf der Brücke erschossen und ihre Leiche in die Donau geworfen …“.
Es zeigt, daß das NS-System überall und allzeit Unrecht ausübte. Das Gedenken an das NS-Opfer Amalie Nothhaft wird hier gepflegt. Die Nazis terrorisierte die Bevölkerung, auch noch im Untergang des Systems – sie ursprünglich wollten das Deutsch Reich groß machen, in ihren Scheitern wollten sie alles vernichten. Der Landrat und Kreisleiter Konrad Hain wurde 1947 aufgrund, seiner Beteiligung an der Erschießung einer wegen Wehrkraftzersetzung inhaftierten Frau im April 1945 … durch das Landgericht Deggendorf 1947 zu zwölf Jahren Zuchthaus wegen Beihilfe zum Mord verurteilt‘ (Eichmüller 242)“.5. Der Oberleutnant Werner Lenz wurde mit 3 ½ Jahren bestraft.
Am Schluß dieses Kommentars will ich auch noch darauf hinweisen, daß Ihr Pfarrer Sebastian Aigner im November 1944 wegen eines Vergehens gegen das Heimtückegesetz mit einer Geldbuße gestraft wurde.
‚ https://W’ff‘!!.forum-der-w hrm .cht.dc/indcx.php?Lhroad/59520-volksswrm-bataillon-z-b-v-2-5-volhssturm-bataiIlon-
degeendorf-i-volkssturm-batal –
s Schober: Berichte, 798; daw auch: DEG GBII XVI, 276,
19
- Der Bericht der Pfarrei Frohnstetten
Der Bericht der Pfarrei Frohnstetten ist lapidar. Der Pfarrer schreibt:
,,Am Nachmittag des 27. April gingen einige Artillerieschüsse im Pfarrsprengel nieder. In der Nacht vom 27. April auf 28. April lag das Pfarrdorf Unterfrohnstetten unter Artilleriestreufeuer. Alle Granaten schlugen aber glücklicherweise im Freien ein, so daß, abgesehen von einigen zertrümmerten Fensterscheiben im Pfarrhof und in der Sakristei, kein Schaden an kirchlichen oder sonstigen Gebäuden entstand. Sonstige Kampfhandlungen fanden nicht statt.“ - Der Bericht der Pfarrei Schwarzach-Hengersberg
Auch der Bericht der Pfarrei Schwarzach-Hengersberg über das „Kriegsgeschehen in der Pfarrei“ ist nicht so detailreich wie der von der Pfarrei Schwanenkirchen. Jetzt folgt der Text:
„Durch die Sprengung der kleinen Ohbrücke mit 4 Bomben – sie wurden oben auf die Brücke gelegt, zudem hätte 1 genügt – entstand großer Schaden am Pfarrhofe, in den Ökonomiegebäuden u. der Pfarrkirche. Die
Dachung an den beiden Pfründegebäuden wurde fast vollständig zerstört, ebenso der Pfarrhof im Innern in jedem Zimmer u. den Gängen stark mitgenommen. Mauerrisse, Plafondeinsturz in einem Fremdenzimmer, Be-
schädigung des Verputzes in allen Zimmern waren die Folgen der ,verrückten‘ Brückensprengung. Der Pfarrhof ist wieder eingedeckt, die Zimmer sind noch nicht ganz hergestellt, vorderhand nur die Mauerrisse aus gebessert, auf die Ökonomiegebäude fehlen uns noch 1 l-12000 Ziegel. In - der Pfarrkirche Schwarzach wurden ungefähr 4500 Taschen zerstört, sämtliche Kirchenfenster zerschlagen, mehrere große Stücke von Stuckatur rahmen am Kirchengewölbe abgerissen, das Pedal am Spieltisch der Orgel beschädigt. Das Kirchendach ist wieder in Ordnung, aber die Fenster fehlen noch. In der Rohrbergkirche wurden die Fenster nach der Schwarzacher Seite zerstört. Durch die Sprengung der Ohbrücke erlitten auch mehrere Privathäuser u. Städel bedeutenden Schaden.
- Auf dem Wege von Schwanenkirchen nach Hengersberg wurde das 10-jährige Töchterlein des hiesigen Ortsgruppenleiters, Herrn Hauptlehrers Adler, durch ein Militärgewehr eines Amerikaners erschossen. Frau Hauptlehrer Adler, Bankier Müller u. das Töchterlein Trudi legten sich in den Straßengraben beim Aufknattern eines SS-Maschinengewehrs. Der Amerikaner glaubte von Ferne gesehen, es seien versteckte SS u. schoß
darauf u. traf das Mädchen am Kopf. Voriges Jahr hatte das Kind noch beim Kirchenportal das Begrüßungsgedicht dem Hochwürdigsten Herrn Bischof vorgetragen.
Morgen, Freitag beginnt hier wieder der Kindergarten, geführt von 2 klösterlichen Kindergärtnerinnen. Von 1899-1939, also volle 40 Jahre, war derselbe in den Händen der Engl. Frl. Die Gemeinde hat auch die Mädchenschule wieder den Klosterfrauen übertragen, die sie 8S Jahre geführt haben bis 1936.“
Soweit dieser Text. Auch die anderen bekannten Hengersberger Zeitzeugenberichte zeugen davon, daß Hengersberg soweit verschont wurde. Allerdings wurden nach dem Kriegsende der Bürgermeister, der Ortsgruppenleiter und der Volkssturmführer unter nicht geklärten Umständen getötet. Man muß den Mut eines Hengersbergers bewundern, über den ein Zeit zeuge berichtete: ,,Alfons Beer, der als erster auf dem Turm der Frauenbergkirche die weiße Fahne gehißt hatte, verblieb in Hengersberg, wurde
nachts um 2 Uhr von SS-Leuten verhaftet und in Thundorf von einem
Sondergericht zum Tode durch Erschießen verurteilt. Der Aufforderung, sich das Grab selbst zu schaufeln, kam er nicht nach und verlangte, vor der Erschießung noch einmal dem Kommandanten vorgeführt zu werden. Dem Wunsche wurde entsprochen. Alfons Beer wurde daraufhin über Anordnung des Kommandanten der Gendarmerie zur weiteren Behandlung über
antwortet. Offenbar überlebte er.
Weitere Geschehnisse in der Region Nun folgen weitere Geschehnisse am Ende des Zweiten Weltkriegs mit dieser Region. Einige davon beruhen darauf, daß hier noch eine
funktionierende Eisenbahnstrecke bestand, von Deggendorf über
Kalteneck nach Passau, die damals die einzige Verbindung von Nord- und Süddeutschland herstellte. Mit einigen Sonderzügen flohen hohe NS Funktionäre, aber auch die japanische Botschaft über die noch vom deutschen Militär gehaltene Tschechoslowakei aus Berlin in die Alpen, in die Alpenfestung; allerdings strandeten sie hier und mußten mit Bussen weitertransportiert werden. Auch KZ-Häftlinge wurden über die Strecke transportiert; der berüchtigte Nammeringer KZ-Transport passierte diese Region.
Die Zwangsarbeiter, v. a. die KZ-Zwangsarbeiter, wurden in der Endzeit oft getötet; offenbar aber nicht in dieser Region. Deshalb kam es nur vereinzelte Racheaktionen nach ihrer Befreiung. Die ungarischen Soldaten, die sich in das Rottal und im Bayerischen Wald geflüchtet hatten, ergaben sich sofort der US-Army.
Kaum bekannt sind die Schicksale der Soldaten der Wlassow-Armee, vor allem ukrainische Truppen, die auf deutscher Seite gegen das Sowjet System gekämpft hatten. Viele Angehörige der Wlassow-Armee wurden in diesem Abschnitt des Bayerischen Waldes gefangen genommen und in ein Lager nach Plattling geschickt. Sie wurden von den USA an Stalin ausgeliefert und dort grausamst bestraft.
Zusammenfassung
Die Leidensgeschichte dieser Region am Ende des Zweiten Weltkriegs ist geprägt durch dessen geschützte Lage. Wenige Kampfhandlungen forderten Opfer, die sinnlosen Zerstörungsaktionen und die Racheaktionen
des NS-Regimes gegen alte Gegenspieler charakterisieren diese Gegend. Heute ist der Wille und die Bereitschaft da, auf unsere Vergangenheit objektiv zu schauen. Bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts scheuten viele, die lokale NS-Geschichte zu kennen und sich dazu zu bekennen – einige waren Betroffene, Täter und Opfer sowie ihre Kindergeneration, andere fürchteten die Reaktionen derer, deren NS-Geschichte aufgedeckt wurden. In der Enkelgeneration geht das leichter, aber jeder leidet darunter, wenn seine Familiengeschichte dunkle Flecken aufweist.
Als Kirchenhistoriker konstatiert man gern, daß die katholische Kirche gegen das NS-System Widerstand geleistet hat. Nach dem Zerfall des Tausendjährigen Reiches bieten die Quellen ein geradezu überwältigendes Bild davon, ·wie die Kirche durch ihr caritatives Wirken gerade in der schlechtesten Zeit, als Staat und Kommunen weitgehend ausfielen, geholfen hat, vielen das Überleben zu sichern. Die Kirche, zu gern als lebensfremd eingestuft, hat 1945 ihre Sorge für das Leben der Menschen durch die Tat eindrücklichst bewiesen. Auch an der politischen Erneuerung hatte die Kirche Anteil, ihr Wirken zielte jedoch in dieser Umbruchszeit vor allem darauf, den Menschen das Überleben und das Weiterleben möglich zu machen. Die Kirche bezog daher für die Schwachen Position,
selbst für die umkehrwilligen Nazis, eine Position, die ihr in späteren
Zeiten angekreidet werden sollte. Das wichtigste war aber doch die Sorge für die Flüchtlinge, denen ein neuer Anfang ermöglicht wurde. So war die Kirche, die mit ihren Kriegsendeberichten ein gutes Fundament der Vergangenheitsbewältigung schuf, die Brücke zum Heute.